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Fakultät für Mathematik und InformatikGeschichte

Die Mathematik umspannt seit Urzeiten alle Bereiche der exakten Wissenschaften. Die Informatik ist unabdingbare Grundlage aller Zukunftstechnologien. Die Universität Heidelberg blickt stolz auf eine lange Entwicklung in Forschung und Lehre in diesen Gebieten.

Zu den Vorläufern der Fakultät für Mathematik und Informatik gehören die Philosophische Fakultät (seit 1386), die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät (von 1890 bis 1969) und die Fakultät für Mathematik (von 1969 bis 2002).

Die frühen Jahre

Mathematik wird an der Universität Heidelberg bereits seit ihrer Gründung im Jahre 1386 gelehrt. Arithmetik und Geometrie wurden als Fächer der artes liberales am Anfang fachfremd unterrichtet, so von dem berühmten Kosmographen Sebastian Münster (1488-1552), den Heidelberg durch einen Brunnen auf dem Karlsplatz geehrt hat und dessen Porträt auf jedem Hundert-D-Markschein zu sehen war. Sebastian Münster hatte einen Lehrstuhl für Hebraistik inne, der allerdings schlecht dotiert war, so dass er nach nur dreijähriger Lehrtätigkeit im Jahre 1527 einen Ruf nach Basel annahm. Der erste Lehrstuhl für Mathematik wurde 1547 eingerichtet und mit dem Arzt Jakob Curio (1497-1572) besetzt.

History Feature 1

Erste Blüte und Niedergang

Eine frühe Blütezeit in der Heidelberger Mathematik gab es um die Wende des 16. zum 17. Jahrhunderts, als der Hofprediger Bartholomäus Pitiscus (1561-1613) gemeinsam mit dem Astronomen Valentin Otho und dem Professor für Logik, Arabisch und Hebräisch Jacob Christmann trigonometrische Tafeln erstellten, die für die Astronomie und Nautik unverzichtbar waren. Von Pitiscus stammt der Begriff der Trigonometrie.

Im 18. Jahrhundert versank mit der gesamten Universität auch die Heidelberger Mathematik in intellektueller Mittelmäßigkeit: Teils wurden die Professuren in schnellem Wechsel von der Kirche neu besetzt, teils als Erbpfründe behandelt. Beides schadete dem wissenschaftlichen Niveau. Zudem brachten finanzielle Misswirtschaft und die Revolutionskriege die Universität um ihren Besitz und ihre eigenständigen Einkünfte.

History Feature 2

Wiederaufstieg

Der Übergang Heidelbergs an das Großherzogtum Baden im Jahr 1806 führte einen Neuanfang herbei. Die Universität wurde neu strukturiert und zur staatlich finanzierten Lehranstalt. Infolgedessen erfuhr die Mathematik eine zweite große Blütezeit von 1850 bis 1920, die mit den folgenden Namen verbunden ist: Ludwig Otto Hesse (1811-1874; Hesse-Matrix, Hesse'sche Normalform), Immanuel Lazarus Fuchs (1833-1902; Fuchs'sche Gruppen), Leo Königsberger (1837-1921; elliptische Funktionen und Differentialgleichungen), Moritz Benedikt Cantor (1829-1920; Geschichte der Mathematik), Paul Gustav Stäckel (1862-1919; Differentialgeometrie, Zahlentheorie und Geschichte der Mathematik) und Oskar Perron (1880-1975; Dirichlet-Problem und Kettenbrüche). Hesse, Fuchs und Königsberger haben es verstanden eine große Schar hochbegabter Studierender um sich zu versammeln, von denen nicht wenige später sehr berühmt wurden. So fanden etwa auch Max Noether (1844-1921) im Sommer 1867 und David Hilbert (1862-1943) im Sommer 1881 an die Ruperto Carola. Zu diesen Berühmtheiten zählte weiter auch Sofja Kowalewskaja (1850-1891), die als Heidelberger Studentin und erste weibliche Professorin in Europa die Vorstellung, Mathematik sei ein rein männliches Fach, nachhaltig herausforderte.

1904 brachte der III. Internationale Mathematiker-Kongress auf Initiative von Königsberger und unter dem Präsidium von Heinrich Weber (1842-1913), der sich 1866 in Heidelberg habilitiert hatte, die bedeutendsten Mathematiker der damaligen Zeit nach Heidelberg.

History Feature 3

Dunkle Zeiten

Doch es folgten auch dunkle Zeiten. Die Nachfolger der mathematischen Pioniere, Heinrich Liebmann (1874-1939; Differentialgeometrie) und Artur Rosenthal (1887-1959; Geometrie, Maßtheorie), wurden wegen ihrer jüdischen Herkunft 1935 vom damaligen nationalsozialistischen Regime gezwungen, sich vorzeitig emeritieren zu lassen. Schon im Mai 1932 war dem außerordentlichen Professor Emil Julius Gumbel(1891-1966; ;Statistik) in einem Disziplinarverfahren seine Lehrbefugnis entzogen worden, weil er in einer sozialistischen Studierendengruppe angeregt hatte, durch ein Denkmal in Form einer Kohlrübe an die Notjahre nach dem ersten Weltkrieg zu erinnern.

Im November 1935 wurde der damals 28-jährige Privatdozent Herbert Seifert (1907-1996; Topologie, u. a. Seifert-Flächen, Seifert-Faserung) binnen einer Frist von zwei Tagen von Dresden nach Heidelberg beordert, um die Vertretung eines der beiden Lehrstühle der zwangsemeritierten Liebmann und Rosenthal zu übernehmen. Er fand ein bis auf einen Privatdozenten völlig verwaistes Institut vor. Auf den zweiten Lehrstuhl wurde 1936 als Nachfolger von Rosenthal der dem Regime genehmere Udo Wegner (1902-1989; Theoretische Mechanik) berufen, der dann 1945 wegen politischer Belastung entlassen wurde.

History Feature 4

Aufschwung und Ausbau

Die Entwicklung des Mathematischen Instituts nach dem zweiten Weltkrieg wurde nachhaltig beeinflusst durch die Professoren Seifert, Hans Maaß(1911-1992; Funktionentheorie, u. a. Maaß'sche Wellenformen),William Threlfall (1888-1949; Topologie) und Friedrich Karl Schmidt (1901-1977; Algebra und Zahlentheorie). Von Maaß stammen bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Automorphen Funktionen. Seifert und Threlfall haben den weltweiten Ruf Heidelbergs als Zentrum der Topologie begründet. Schmidt hat hier eine arithmetisch-algebraische Schule etabliert. Aus der Fortführung der damals bestehenden Arbeitsgebiete entwickelten sich die späteren traditionellen Heidelberger Schwerpunkte der Reinen Mathematik mit den mathematischen Bereichen Algebra, Analysis, Funktionentheorie, Geometrie, Topologie und Zahlentheorie. Es entstand ein Profil, das bis heute wissenschaftlich deutlich wahrgenommen wird. In diesen Zeitraum fällt auch der Umzug aus der Heidelberger Altstadt, wo man zuletzt im Friedrichsbau am Bunsen-Platz untergebracht war, in ein neu errichtetes Institutsgebäude im Naturwissenschaftscampus im Neuenheimer Feld.

Ein wichtiger historischer Meilenstein in der Entwicklung der jetzigen Fakultät war die Gründung des Instituts für Angewandte Mathematik im Jahre 1957. In den darauffolgenden Jahren kam es zu einem starken personellen Ausbau des Mathematischen Instituts und des Instituts für Angewandte Mathematik. Wichtige und richtungsweisende Neuberufungen in dieser Ausbauphase, mit prägender Wirkung für die spätere Entwicklung, waren die Berufungen der Kollegen Albrecht Dold (1928-2011;Topologie), Dieter Puppe (1930-2005; Topologie), Willi Jäger (*1940; Angewandte Analysis), Gerd Müller (1923-2006; Mathematische Logik), Werner Romberg (1909-2003; Numerik) und Peter Roquette (*1927; Algebra und Zahlentheorie) in den Jahren 1963-1974.

Im Institut für Angewandte Mathematik entwickelten sich zu dieser Zeit sehr rasch Schwerpunkte in den Bereichen Angewandte Analysis, Numerik und Optimierung sowie in der Statistik. Diese Entwicklung mündete ein in die Gründung eines Interdisziplinären Zentrums für Wissenschaftliches Rechnen (IWR) im Jahr 1987. Das IWR – zwar selbst nicht Teil der Fakultät – war ein Novum für die damalige Zeit mit erheblicher Ausstrahlung, und ermöglichte es der Heidelberger Mathematik eine Vielzahl ihrer Arbeitsgebiete in interdisziplinäre Forschung und Lehre einzubinden. Wichtige Kooperationspartner des IWR und der Fakultät sind traditionell vor allem die Heidelberger Fakultäten für Biologie, Chemie und Physik sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen etwa der Industrie. Seit einigen Jahren erfolgt allerdings auch verstärkt eine Zusammenarbeit mit geisteswissenschaftlichen Disziplinen.

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Das 21. Jahrhundert

Ein wichtiger und weitreichender Entwicklungsschritt der Fakultät war die Gründung des Instituts für Informatik im Jahr 2002. Ein erster bescheidener Nukleus dazu war bereits gelegt durch das seit 1962 vorhandene Fachgebiet Mathematische Logik. Zeitgleich mit der Einrichtung des Instituts für Informatik erfolgte im Jahre 2002 die Umbenennung der „Fakultät für Mathematik“ in die „Fakultät für Mathematik und Informatik“ – ein folgerichtiger Schritt im Zuge der Anpassung der Ausbildungsgänge und der mathematischen Forschung an die neuen Entwicklungen. Das rasche Wachstum in diesem Bereich, der sich in Heidelberg durch seine besonders starke Anwendungsorientierung und Interdisziplinarität auszeichnet, wurde zusätzlich verstärkt durch die Eingliederung der Mannheimer Technischen Informatik in die Universität Heidelberg im Jahr 2007. An der Fakultät gibt es derzeit (Stand: März 2021) insgesamt 33 Professorinnen- und Professorenstellen, 22 davon im Bereich der Mathematik und 11 im Bereich der Informatik.

In den 2000er-Jahren war die stark gewachsene Fakultät zwischenzeitlich auf sieben Gebäude im Neuenheimer Feld verteilt, was die wissenschaftliche Zusammenarbeit – insbesondere über Institutsgrenzen hinweg – erschwerte. Im Jahr 2015 wurde dieser Missstand mit Errichtung des Mathematikon durch die Klaus-Tschira-Stiftung behoben: Der aus drei Gebäudeteilen bestehende Komplex bietet Raum für Wissenschaft und Wirtschaft – neben Forschungseinrichtungen und Instituten wurden auch Gastronomie und Einzelhandel integriert. Der südliche Bauteil wurde durch eine Schenkung an das Land Baden-Württemberg übergeben und ist seither das gemeinsame Zuhause der Fakultät für Mathematik und Informatik und des IWR.

Heute tragen Forscherinnen und Forscher aus allen Teilbereichen der Fakultät über den Exzellenzcluster STRUCTURES sowie über mehrere Sonderforschungsbereiche und Graduiertenschulen entscheidend zur Exzellenzstrategie der Universität Heidelberg bei.